Erlebnisbericht: E-Mountainbike Fahrtechnikkurs

Kürzlich hatte Kundin Martina einen E-MTB Fahrtechnikkurs bei Fit for Trails besucht. Im Rahmen einer Abschlussarbeit für einen Journalismuskurs hat sie den ganzen Tag in einer Reportage zusammengefasst. Ich bin beeindruckt, wie sie als aktive Teilnehmerin gleichzeitig Notizen machte, Interviews führte und sich die vielen kleinen Details merkte.

Ich bedanke mich ganz herzlich für diesen tollen Bericht, von mir gibt es die Bestnote dafür!

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E-Bikerin Martina als Kursteilnehmerin und Journalistin zugleich.


Und sie schwitzen doch

Auch mit Motor ist das Mountainbike ein Sportgerät – es zu beherrschen, will gelernt sein. Die nötige Technik, Tipps und Tricks möchte Uwe Trummer in seinen EMTB-Kursen vermitteln, denn nur wer sicher fährt, hat richtig Spass.

Mitte März, Sonntag Morgen, kurz vor halb zehn, noch ist es trocken, aber kalt. Auf dem Kiesplatz in der Industriezone von Rupperswil trudeln nach und nach meist grossräumige Autos ein. Die Kennzeichen reichen von Aargau bis Thurgau, von Zürich bis Liechtenstein. Den Fahrern gemeinsam ist der fragende Blick – die ersten aus- und abgeladenen Bikes bestätigen: Hier ist der Treffpunkt für den Fahrtechnikkurs E-Mountainbike (EMTB).

Uwe Trummer, Kursleiter und Inhaber der ortsansässigen „Fit for Trails Mountain Bike School“, baut neben seinem Wagen ein Tischchen auf, hievt einen 5 Liter-Wasserspender darauf, stellt zwei Schalen mit Energiepulver und -riegeln dazu. „Wer noch etwas Doping braucht…“, fordert er zur Selbstbedienung auf. Anfängliche Schüchternheit hält die acht Teilnehmer, vier Frauen und vier Männer, vom Zugreifen ab. Zudem kriecht die Kälte in die Glieder, der Sinn steht eher nach einem Heissgetränk. Schichten von Funktionskleidung halten halbwegs warm – nur Uwe, obwohl von eher zarter, doch drahtiger Statur, steht im langärmligen Leibchen mit T-Shirt drüber da. Er fährt bei Wind und Wetter, seit 30 Jahren - das härtet ab.

Bergab „wie eine Pussy“

Die ersten Teilnehmer haben sich miteinander bekannt gemacht, Bikes werden begutachtet, die Ausstattung verglichen, Fahr- und Vorkenntnisse ausgetauscht. Matthias hat sich sein Bike von Bulls Ende Februar zugelegt. „Ich bin erst ein paarmal gefahren, dann war das Wetter ja eher bescheiden.“ Bislang benutzte er ein 35-jähriges Velo, „da hatte ich das Gefühl, es muss mal etwas anderes her.“ Er stand vor der Wahl Töff oder EMTB, die Entscheidung fiel zugunsten der Umwelt aus, obwohl seine Leidenschaft bislang den schweren Maschinen galt. Dennoch habe er Respekt vor dem neuen Gefährt, bergab fahre er „wie eine Pussy – ich habe keinen Plan vom Velofahren“, gesteht der 48-Jährige aus dem Nachbarort. Pures Understatement, wie sich später zeigen wird.

Angelika wirkt selbstbewusst, auch wenn sie ihr Licht unter den Scheffel stellt. „Ich teile die Leidenschaft fürs Bike mit meinem Freund, der ist jedoch viel zu gut für diesen Kurs und daher nicht dabei.“ Sie selbst fahre seit vier, fünf Jahren. „Mit Fahrtechnik habe ich mich bislang nicht auseinandergesetzt, das soll sich jetzt ändern.“ Die Vierzigjährige aus Brugg trägt ein knallrotes Velojacket, ihr Bike hat ein Fachhändler auf ihre persönliche Masse und Bedürfnisse konfiguriert, der giftgrüne Rahmen kommt ohne protzenden Markennamen aus. Mit dabei ist auch Caroline, mit 24 ist sie das Küken der Gruppe. Den Senior gibt der 67-jährige Peter: „Jahrzehnte bin ich ohne Motor die Berge hoch gekommen, jetzt wird es langsam zu beschwerlich.“

Punkt halb zehn trommelt Uwe die Truppe zusammen, erläutert kurz den Ablauf. Am Morgen werde die Technik auf dem Platz geübt, es sei alles dabei, für Fortgeschrittene wie für Beginner. Nach dem Mittag gehe es in die Hügel, um das Gelernte anzuwenden. „Wenn es dann regnet, ist es nicht so schlimm“, spielt er auf die vorhergesagte Wetterwendung an. Der Trail selbst sei für alle machbar, jedoch freiwillig. „Es gehört aber dazu, dass man auch mal etwas riskiert und ausprobiert.“

Wen es bereits in den Waden juckt, der muss sich noch gedulden: Uwe setzt zum Bike-Check an, beginnend bei den Reifen. Der Druck sei bei den meisten viel zu hoch: 1 bis 1.5 Bar genügten, vor allem die breiten Plusreifen bauchten wenig Luft, um sich mit Grip in den Boden zu krallen. „Den Rollwiderstand könnt ihr getrost vergessen, wir fahren ja mit Motorkraft“. Uwe greift zur Profipumpe, um den Reifendruck zu optimieren: „Ihr werdet sehen, eure Bikes sind noch nie so gut gefahren.“

Aufmerksamkeit verdient auch die Federung, dort sollte der Druck bei 15 bis 20 Bar liegen, abhängig von Fahrstil und Körpergewicht. Ein roter Gummiring an der Vordergabel hilft bei der Selbstkontrolle. „Die Kette gehört gut eingeölt, haltet den Antrieb immer sauber“, mahnt der Fachmann, ehe er sich dem Akku widmet und eine Art Schraube in die Höhe hält, die kaum einer richtig zu ordnen kann. „Ganz wichtig - der Speichenmagnet für den Hinterradsensor“, schliesst Uwe die Bildungslücke. Sein Tipp: „Habt immer einen Ersatz im Gepäck, denn wenn der fehlt, gibt es auf dem Display eine Errormeldung.“ Mit Reserveschläuchen und Werkzeug von Multitool bis Kabelbinder ist er für jeden Zwischenfall gerüstet, sein schmaler Rucksack ist ganze sieben Kilo schwer.

In Gorillastellung zum Überblick

Lektion Nummer eins: Körperhaltung. Beim Sitzen soll das Bein knapp durchgestreckt sein, beim Abfahren heisst es Sattel runter und den Hintern hoch. „Zum Auskorrigieren mit Oberkörper und Armen arbeiten“, erklärt Uwe und demonstriert die „Gorillastellung“: breitbeinig, die Ellenbogen draussen. Pedalstellung im Normalfall „Mitte/Mitte“, das garantiere stabilen Stand, Augen nach vorn, „so behaltet ihr den Überblick“.

Weiter geht’s mit: Bremsen. Die Stärke richtet sich nach Untergrund und Gefälle, doch gilt: „Immer mit beiden!“ Die Vorderbremse hat mehr Wirkungskraft und verlangsamt das Rad, die hintere Bremse stabilisiert, so lässt sich hart bremsen, ohne dass etwas passiert. Mit wie vielen Fingern wird gebremst? „Jeweils nur mit einem!“ Dies hilft, die Kraft besser zu dosieren und Blockierungen zu vermeiden. Und nicht zuletzt: „Wenn das die Profis so machen, wird es schon seinen Sinn haben.“ Von Antiblockiersystemen für Bikes, wie sie derzeit auf den Markt kommen, hält Uwe nichts: „Wir sind unser eigenes ABS, warum soll die Elektronik alles für uns übernehmen?“ Mit unzähligen Bremsspuren zerfurchen die Teilnehmer in wenigen Minuten den trockenen Kies.

Kurven fahren – jetzt geht es ans Eingemachte. Vier Techniken kennt der Profi, der Laie beschränke sich vorerst auf zwei: Die Lenktechnik verlangt den bewussten Lenkereinschlag, die Druck- oder Legetechnik setzt auf Gewichtsverlagerung. Hüftknick, Beinfreiheit, Armhaltung – vieles ist jetzt zu beachten. Auf dem engen Hütchenparcour versucht die Truppe das Demonstrierte umzusetzen, ab und zu fällt eine orange-weisse Pylone um. „Ihr müsst lernen, Kurven zu lesen. Folgt mit eurem Blick und investiert genug Platz, auch das Hinterrad muss mit.“

Die richtige Technik verleiht Flügel

Vorläufiger Höhepunkt: Hindernisse überwinden. Wer bislang in Wurzel, Stein oder Bahngleise einfach frontal reingefahren ist, hört nun von den Gefahren, die von platten Reifen bis zur gebrochenen Federgabel führen, schlimmstenfalls geht gar der Fahrer über Kopf. Uwe zeigt drei Techniken der Wahl: Ohne abzubremsen zieht er vor einem Balken das Vorderrad hoch. Im nächsten Durchgang nimmt er das Hinterrad hinzu und verblüfft schliesslich mit dem „Bunny Hop“: Scheinbar mühelos lässt er beide Räder gleichzeitig vom Boden abheben. Um zu zeigen, dass das Kunststück nicht nur mit Klickpedalen gelingt, die den Fahrer fest mit dem Bike verbinden, demonstriert er es ein weiteres Mal mit Matthias‘ Bike. Diesen scheint es anzuspornen, den niedrigen Balken überwindet der Fahrschüler nach wenigen Anläufen bravourös. „Ich habe vorher noch nie versucht, ein Fahrrad zu lupfen, das finde ich spannend“, zeigt er sich zufrieden. Nicht allen ist das Erfolgserlebnis vergönnt, bei den meisten bleibt das Hinterrad am Boden kleben. Nichtsdestotrotz ist die Stimmung auch beim abschliessenden Gleichgewichtstraining gelöst, die Aussicht auf ein stärkendes Mittagessen scheint zu beflügeln.

„In den zweieinhalb Stunden habt ihr euch alle stark verbessert“, lobt Uwe in die Runde, bevor es per Pedale zur örtlichen Pizzeria geht. Am Treppenaufgang stellt die Truppe neun Bikes aneinander, ein langes Drahtschloss sichert den Fuhrpark, zusammen rund 50‘000 Franken wert. Bei Pizza und Pasta im „Sale e Pepe“ sieht man sich erstmals ohne Helm. „Kaum wieder zu erkennen“, spielt eine Teilnehmerin auf die Verwandlung an. Gelöste Stimmung herrscht, es wird fröhlich geplaudert, oben am Tisch beantwortet Uwe bereitwillig Fragen zu seiner Firma und Person. Fit for Trails führt er seit sieben Jahren als Einmannbetrieb, das helfe die Kosten niedrig zu halten und Qualität zu garantieren. Bislang habe er auch Bike-Reisen angeboten, etwa nach Toscana. „Auf dem Feriensektor tummeln sich zu viele, ich konzentriere mich nun auf Kurse für Fahrtechnik.“ Bis zu zehn Kurse gibt der 42-Jährige die Woche, er hat einen zweiten Standort in seiner alten Heimat Volketswil. Im Sommer laufe das Hauptgeschäft, „doch theoretisch kann man das ganze Jahr durchfahren“.

Später dreht sich das Gespräch um steigende Unfallzahlen, die am Image des EMTBs kratzen. „Das Problem ist, dass E-Biker und E-Mountainbiker in den gleichen Topf geworfen werden“, gibt Uwe zu bedenken. Erfahrungsgemäss verunfallten aber viel mehr normale E-Bikes im Strassenverkehr als EMountainbiker im Gelände. “Ich sehe es als meine Aufgabe, möglichst viele E-Mountainbiker zu schulen, damit diese ihr Sportgerät in jeder Situation richtig beherrschen und Stürze vermieden werden können.“

Konfrontation im Gelände

13:30 Uhr. Zurück auf der Strasse, hoch Richtung Wald. Die Sonne ist herausgekommen, im energiesparenden Eco-Modus mit rund siebzig Pedalumdrehungen pro Minute wird es den wetterfest verpackten Fahrern fast zu warm. Zwischenstopp an einer breiten Treppe. „Nun komm noch Angstschweiss dazu“, entfährt es Peter angesichts der bevorstehenden Aufgabe. „Nehmt genügend Anlauf und verlagert das Gewicht nach hinten“, gibt Uwe Anweisung und macht es vor. Stolz ist in den Gesichtern zu lesen, als auch alle anderen die vier Stufen problemlos gemeistert haben. Endlich im Gelände, erweist sich das Anfahren am Berg als Schwierigkeit. Trotz niedrigem Gang und mittlerer Motorkraft muss Caroline mehrmals ansetzen, bevor es ihr gelingt, sich in den Sattel zu setzen: „Meine Beine sind einfach zu kurz.“

Oben angekommen, steht schon die erste Abfahrt bevor, schnell lässt Uwe das theoretisch Gelernte repetieren. „Spielt mit dem Gelände“, fordert er auf und macht es vor. Einer nach dem anderen saust den schmalen Trail hinab, an dessen Ende Baumwurzeln und steile Stufen zum Anhalten gemahnen.

Gemeinsam wird die ideale Linie ausgemacht, der alle dankbar folgen. Ein entgegenkommender Fussgänger älteren Jahrgangs bringt einen Fahrer aus dem Konzept und schliesslich zu Fall. Ein blauer Fleck am Oberschenkel wird diesem als Souvenir bleiben, der Wanderer geht unbeirrt-ungerührt weiter. Dieser Moment lässt das Konfliktpotential zwischen Fussgängern und Fahrradfahrern, insbesondere motorisierten, erahnen. Und schon folgt eine nächste befremdliche Szene: Grade hat die Gruppe eine Steigung im sportlichen Eco-Modus genommen, kreuzen Sonntagsspaziergänger den Weg. „Ihr bescheisst doch alle, bescheisst doch alle“, keift ein Mann, wohl Familienvater, als hätte er mit Kennerblick die Elektrobiker als Betrüger enttarnt. Diese reagieren mit Gleichmut auf die Provokation.

Ein Wegweiser führt zum Naturalistengelände. Bergauf gelingt es den vier Frauen, die beiden Spitzkehren gemäss Uwes Anleitung in einem Rutsch zu nehmen, hinab erweist sich zu starkes Bremsen als kontraproduktiv. Wo etwas Mut gefragt ist, haben die Männer den Bogen raus, ebenso Angelika. Nackte Tatsachen sind am Wendepunkt nicht auszumachen, das mit hohen Holzwänden abgeschottete Areal sorgt dennoch für Erheiterung.

Naturgewalt und Glücksgefühle

Gegen 15 Uhr verdunkeln Wolken den Himmel, starker Wind kommt auf. Geplant hatte Uwe 400 Höhenmeter auf 25 Kilometer Strecke zu nehmen, doch entschliesst er sich nun zur Abkürzung – flugs geht es hinab zur Aare. Im freien Gelände sorgt der Rückenwind für zusätzliches Tempo, am Fluss wirft die seitliche Bö fast aus der Bahn, der Kampf mit der Naturgewalt setzt Glücksgefühle frei. Eine halbe Stunde später kehrt die Gruppe wohlbehalten am Ausgangspunkt zurück. Prompt geht der Nieselregen in einen Schauer über, rasch werden die 25 Kilo schweren Bikes auf dem Anhänger oder in den Kofferraum verstaut.

Eine Stunde früher und 10 Kilometer weniger in den Beinen als erwartet, zeigen sich die Teilnehmer sichtlich zufrieden mit Erlerntem und Erlebtem, bevor sie sich in den nächsten Minuten wieder in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Das unwirtliche Wetter lädt kaum zu einer ausführlichen Feedbackrunde ein. „Das bringt definitiv mehr Spass als mit dem alten Velo zu fahren“, zieht Matthias Resümee. Dass er es als Motorradfahrer gewohnt sei, sich in die Kurven zu legen, habe ihm Sicherheit gegeben, „trotzdem bleibt der Respekt vor einem Sturz.“ Angelika verkündet den Beschluss, sie werde nun regelmässig üben, „statt meinem Freund ab und zu einfach nur hinterherzufahren.“ Dies deckt sich mit Uwes Empfehlung, das Gelernte schnellstmöglich wieder anzuwenden. Jeder wisse jetzt, wo seine Stärken und Schwächen lägen, darauf liesse sich gut aufbauen. „Dranbleiben“, rät der Profi mit Erfahrung aus dreissig Biker-Jahren.

Martina Kleinsorg