Kurztest: RockShox Flight Attendant 2024

Es ist die letzte Komponente zur endgültigen Perfektion des Mountainbikes: Das elektronische Fahrwerk.

In den letzten Jahren wurde schon viel daran herumgetüftelt und mit RockShox i.e und Fox Live Valve kamen bereits zwei serienreife Systeme auf den Markt. Aber wirklich massentauglich ist die Technologie bis jetzt noch nicht geworden. Das liegt einerseits an der Komplexität der Umsetzung und andererseits am exorbitanten Preis. Aber langsam tut sich was, seit RockShox vor drei Jahren ihr erstes Flight Attendant präsentiert hat, kommt Schwung in die Sache.

Das Flight Attendant ist komplett integriert in die SRAM/RockShox/Quarq Familie. Das heisst, dass alle AXS Komponenten aufeinander abgestimmt sind und perfekt zusammenarbeiten. Damit das Flight Attendant überhaupt funktioniert, wird eine Federgabel, ein Dämpfer und ein Pedalsensor oder Powermeter aus dem Hause RockShox/Quarq benötigt. Damit steuert es elektronisch die beiden Federelemente in den drei Stufen Open, Pedal und Lock.

rockshox_flightattendant_aug2024jpgDas Zusammenspiel der einzelnen Komponenten. (Foto: rockshox.com)

rockshox_flightattendant_aug2024-46jpg
Gabel und Dämpfer mit den Flight Attendant Modulen.


Bei der ersten Version gab es nur drei Hersteller, welche exklusiv je ein Enduro-Modell auf den Markt brachten. Warum das System zuerst nur für Enduro-Bikes freigegeben wurde, kann ich bis heute nicht nachvollziehen. Denn die Vorteile von einem Fahrwerk, welches die Kompression bzw. Blockierung automatisch steuert, macht an einem Cross-Country Bike am ehesten Sinn. 

Seit diesem Jahr ist das Flight Attendant nun für alle Ultimate Federelemente erhältlich und kann nachträglich an modernen Fullsuspension-Mountainbikes verbaut werden. Wer das möchte, muss allerdings sehr tief ins Portemonnaie greifen, mindestens CHF 2'900.00 werden für alle Komponenten fällig. Wenn man zusätzlich den Powermeter will, kommen nochmals CHF 490.00 dazu. Ganz schön viel Geld für ein System, welches salopp gesagt, nur die Kompression elektronisch regelt…

Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, ein Rocky Mountain Instinct C70 mit einer SRAM AXS Transmission Schaltgruppe, RockShox Flight Attendant Federelementen und RockShox Reverb Satttelstütze zu testen (das Modell ist so offiziell nicht erhältlich). Die volle Dröhnung Elektronik an einem Bike! Verbaut wurden eine ZEB Federgabel und ein Super Deluxe Dämpfer mit 150 mm/140 mm Federweg.

rockshox_flightattendant_aug2024-44jpg
Das Rocky Mountain Instinct C70 komplett mit SRAM und RockShox bestückt.


Ich bin kein grosser Freund von Federelementen, die man blockieren kann. Für Rennfahrer:innen kann eine blockierte Federung im Kampf um Sekunden und im Zielsprint entscheidend sein, für die Hobbyfahrer:innen wird das oft überbewertet (vor allem von deutschen Fachmagazinen). Es gibt an einem Mountainbike ein Dutzend andere Faktoren und Komponenten, die wichtiger sind und mehr Einfluss auf das Fahrverhalten haben. Und wenn ein Rahmen richtig konstruiert und auf die Federung abgestimmt wurde, dann wird ein Wippen nahezu eliminiert. So ist es zumindest bei meinem jetzigen Mondraker Raze der Fall, welches ich immer im offenen Modus fahre. Trotzdem freute ich mich auf den Flight Attendant Test, denn ich bin immer davon fasziniert, was die Ingenieure der Bikeindustrie noch alles aus dem Hut zaubern.

Bevor es los geht, muss man alle Teile zum Leben erwecken. RockShox schreibt auf der Website, dass das Setup einfach ist. Da bin ich anderer Meinung, denn es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und man sollte etwas von der Fahrwerkseinstellung verstehen. Im Fall vom Instinct mussten 7 Komponenten montiert, 7 Firmware-Updates installiert und 4 Akkus aufgeladen werden. Es braucht also einiges an Geduld, bis man ein Flight Attendant Bike das erste Mal bewegen kann.

rockshox_flightattendant_aug2024 53jpg
Die Liste der verbundenen Komponenten ist lang... Das Schaltwerk ist auch noch dabei.


Zum Glück wurde das für mich schon erledigt, ich musste das Bike nur noch mit meiner SRAM AXS App verbinden. Das geht hingegen schnell, die Federgabel dient als Hauptkomponente und sobald diese erkannt wird, sind im Hintergrund alle anderen Teile schon integriert. Loslegen konnte ich aber noch nicht, bei jeder Veränderung vom Luftdruck muss das System neu kalibriert werden. Dafür muss man zuerst die Federelemente mit dem passenden Druck befüllen. Dann setzt man sich auf das Bike, um im Sag zu sein und drückt die Menütaste, bis die eine LED weiss blinkt. Danach steht man auf, legt das Bike auf die linke Seite und wartet, bis die eine LED grün leuchtet. In der App oder direkt auf dem Steuermodul können noch Bias (Auslösehärte) und Low Speed Compression eingestellt werden. Wie üblich muss auch noch der Rebound, die Low Speed Compression und allenfalls die Progression verändert werden. Wenn ein Power Meter installiert ist, wird sogar noch die Trittfrequenz miteinbezogen, um eine noch effizientere Funktion zu liefern. Das sogenannte Adaptive Ride Dynamics ist ein Algorithmus, mit dem das System lernt wie man fährt, um das Fahrwerk kontinuierlich zu personalisieren. Um das alles zu verstehen, sollte man entsprechend viel Erfahrung in der Fahrwerksabstimmung mitbringen.

rockshox_flightattendant_aug2024-29jpg
Das Steuermodul informiert über die verschiedene Modi.


Nachdem endlich alles auf mich eingestellt war, konnte ich dem Instinct die Sporen geben. Ich wählte meine Hausrunde auf den Stoffel, bei welcher ich jede Wurzel und jeden Stein kenne, um möglichst vertraute Testbedingungen zu haben. Als Vergleich diente mein Mondraker Raze Carbon, das ebenfalls mit SRAM Transmission Schaltung und RockShox Ultimate Federelementen bestückt ist (Testbericht hier). Ich war natürlich auch auf das allgemeine Fahrverhalten vom neuen Instinct gespannt. Seit 2015 fuhr ich verschiedene Instinct Versionen, für mich war es immer ein vielseitig einsetzbares Bike, welches sich hoch und runter sehr ausgewogen fährt.

Kaum fuhr ich los, begann auch schon das Motormodul zu surren. Der erste Wow-Effekt! Die Sensoren arbeiten supersensibel und erkennen jede Bodenunebenheit. Man hat das Gefühl, als würde eine Kamera den Untergrund scannen, es sind aber nur die Sensoren, welche im Millisekundentakt arbeiten. Bei jedem Surren wanderte mein Blick nach unten zum Steuermodul, um zu checken, in welchem Modus sich das Fahrwerk befindet.

Folgende Dinge sind mir gleich aufgefallen:
  • Fährt man von einer asphaltierten Strasse direkt in einen Schotterweg, springt die LED sofort von Lock in Pedal. Die leichtesten Bodenunebenheiten werden in Sekundenbruchteilen registriert und das Fahrwerk bietet mehr Komfort und Grip.
  • Fährt man eine Bordsteinkante runter, dann wechselt das System ebenfalls von Lock in Pedal. Fährt man hingegen eine Treppe runter, dann geht es direkt in den Open Modus. Anhand der Neigung und der Schläge wissen die Sensoren, wann es mehr oder weniger zur Sache geht.
  • Senkt man den Sattel ab, geht das System direkt in den Open Modus. Sattel runter heisst Downhill. Beginnt man mit tiefem Sattel auf der Fläche zu sprinten, wechselt das System jedoch in den Pedal oder Lock Modus.
rockshox_flightattendant_aug2024-16jpg
Von Lock in Open in Millisekunden!


Ich gewöhnte mich schnell an das automatische Fahrwerk und vertraute ihm voll und ganz bei der Arbeit. Was mich interessanterweise nun störte war, dass die Federung nicht vollständig blockierte. Obwohl das bei den "normalen" ZEB und Super Deluxe Federelementen auch nicht der Fall ist, hätte ich mir das jetzt gewünscht. Die Federung wird lediglich straffer, so wie wenn man manuell die High Speed Compression bzw. den Threshold-Hebel aktiviert. Irgendwie macht das Flight Attendant an langhubigen Bikes so nur bedingt Sinn. Ausser man ist Enduro-Rennfahrer:in und kann beim Kampf gegen die Uhr die Hände nicht vom Lenker nehmen. Da hilft das System, wenn es die manuelle Arbeit übernimmt und die jeweils perfekte Stufe wählt. Deshalb hätte ich gerne zum Vergleich ein Cross-Country Bike mit SID Federelementen ausprobiert, welche wirklich komplett blockieren.

rockshox_flightattendant_aug2024-11jpg
Straffer, aber nicht blockiert. Im Sprint verpufft die Energie in der Federung...


Den grössten Vorteil vom Flight Attendant empfand ich im flachen Gelände, welches mit Wurzeln und Steinen gespickt ist. Dort, wo man jeweils nicht sicher ist, ob man besser im Pedal oder Open Modus fahren soll. In diesen Situationen kann man sich zu 100% auf das System verlassen, die Federung arbeitet super effizient. Im steilen Gelände macht die Elektronik dann das, was ich selber auch machen kann: Runter öffnet die Federung und rauf schliesst sie. Für das benötige ich kein Flight Attendant, diese Einstellung kann ich auch schnell von Hand vornehmen.

rockshox_flightattendant_aug2024-4jpg
Flach und Wurzeln, hier arbeitet das Flight Attendant perfekt.

rockshox_flightattendant_aug2024-15jpg
Einfach mal abziehen, das Flight Attendant sorgt garantiert für eine weiche Landung.



Fazit RockShox Flight Attendant


Mein Eindruck vom Flight Attendant ist gespalten. Einerseits ist es ein Wunderwerk der Technik, welches zeigt, was heutzutage alles möglich ist. Und das ist erst der Anfang, da wird noch viel mehr kommen. Anderseits vermisse ich genau jetzt diese (zukünftigen) Möglichkeiten. Das System schliesst lediglich die High Speed Compression bzw. blockiert elektronisch. Alle anderen Einstellungen muss ich nach wie vor von Hand vornehmen. Warum können Rebound, Low Speed Compression, Progression, usw. nicht auch elektronisch geregelt werden?

Was ich ebenfalls vermisse, ist eine Datenanalyse. Ich kann nach der Fahrt nirgendwo nachschauen, in welchen Bereichen ich das Fahrwerk noch optimieren kann. Dafür gibt es von Quarq das ShockWiz, welches man zusätzlich montieren müsste. Es wäre clever, wenn das ins Flight Attendant integriert werden könnte.

Der Aufwand, um das Flight Attendant in Schuss zu halten, ist mir zu hoch. Auf dem Trail nimmt es dem Fahrer zwar automatisch die Arbeit ab, neben dem Trail braucht es aber ganz viel Zuneigung vom Nutzer. Man muss immer daran denken, dass alle 4 Akkus geladen sind, bevor man losfährt. Wenn man den Luftdruck ändert, dann muss das System neu kalibriert werden. Und die Software-Updates, welche regelmässig herausgegeben werden, sollte man auch immer installieren. Da wünscht man sich einen Mechaniker…

Der unglaublich hohe Preis für das gesamte System sorgt sicher bei vielen Leuten für ein Stirnrunzeln. Auch bei mir. Nochmals, man bezahlt viel Geld dafür, dass einem die Elektronik lediglich den Griff zum Lockout-Hebel übernimmt. Der Preis wäre gerechtfertigt, wenn das Flight Attendant noch mehr Funktionen bieten würde.

Nichtsdestotrotz, für ambitionierte Rennfahrer:innen führt wohl kein Weg am Flight Attendant (oder an einem anderen elektronischen Fahrwerk) vorbei. Wer Rennen gewinnen will, der muss sämtliche Vorteile ausschöpfen und da gehört auch eine solche Technologie dazu. Für Hobbyfahrer:innen ist es hingegen lediglich eine spannende Spielerei, ohne einen wirklichen Mehrwert. Wer es sich leisten kann, der soll ein Flight Attendant montieren. Alle anderen gönnen sich lieber ein paar Wochen schöne Bikeferien und bleiben bei der manuellen Betätigung des Lockout-Hebels.

>> RockShox Flight Attendant

rockshox_flightattendant_aug2024-18jpg
Perfekt über die Wurzeln gleiten. Aber ist das wirklich 3'000 Franken wert?



Fazit Rocky Mountain Instinct

Das Instinct bleibt auch im Modelljahr 2024 ein äusserst vielseitiges Bike. Mit der Penalty Box (Staufach) im Unterrohr und dem verstellbaren Reach im Steuersatz bietet es jetzt noch mehr Features als der Vorgänger. Obwohl es flacher, tiefer und schwerer geworden ist, lässt es sich immer noch leichtfüssig bewegen. Es klettert gut den Berg hoch, das typische "Rocky Mountain Wippen" gibt es allerdings weiterhin, aber in diesem Fall hat das Flight Attendant dies beinahe komplett eliminiert. Die Verspieltheit und das gutmütige Verhalten sind auch immer noch vorhanden. Obwohl der Radstand, wegen des Transmission Schaltwerks, in der langen Einstellung gefahren werden muss, geht es locker auf das Hinterrad für Manuals und Wheelies.

Das Instinct ist perfekt geeignet für Touren in hügeligem Gelände, in welchen die meisten Mountainbiker:innen unterwegs sind. Es ist sich aber auch nicht zu schade für grobes Gelände, selbst ein Ausflug in den Bikepark wäre problemlos möglich. Wer ein Bike sucht, das fast überall Zuhause ist, der kann beim Instinct bedenkenlos zugreifen.

Ich muss aber gestehen, mein Mondraker Raze Carbon, welches in die gleiche Kategorie gehört, fährt sich noch besser. Das Raze hat generell mehr Vortrieb, egal ob rauf oder runter, und das mit herkömmlichen Federelementen. Allerdings ist es anspruchsvoller im Handling als das Instinct und daher eher für erfahrene Piloten geeignet.

>> Rocky Mountain Instinct

rockshox_flightattendant_aug2024-51jpg
Dieses Bike zieht die Blicke auf sich!