Die Marke Pirelli kennt wohl jeder. Die italienische Firma wurde bereits 1872 gegründet und gehört zu den grössten Reifenproduzenten weltweit. Schon 1894 wurden die ersten Fahrradreifen hergestellt. Später konzentrierte man sich auf Auto- und Motorradreifen und es wurde auch viel in den Rennsport investiert. Pirelli ist aktueller Ausrüster der Formel 1 und gewann über 460 Meistertitel im Automobil- und Motorradsport. Und dann gibt es da noch den berühmten Kalender, mit welchem man sich auch einen Namen in der Glamourwelt machte.
2017 präsentierte Pirelli neue Rennradreifen und sie waren wieder zurück im Geschäft. Kurze Zeit später folgten weitere Gummis für MTB, Gravel und Urban. Das zeigt, dass selbst für grosse Konzerne das Fahrrad an Bedeutung gewinnt. Eine erfreuliche Entwicklung!
Der Pirelli Scorpion Enduro S 29x2.60" an meinem Mondraker Chaser 29.
Spezifikation
Die Palette der MTB-Reifen reicht von Cross-Country bis Enduro. Es wird grundsätzlich in vier Kategorien unterteilt: XC, Trail, Enduro und E-MTB. Die Reifen werden in verschiedenen Grössen und Breiten und mit unterschiedlichen Profilen und Karkassen angeboten. Die Auswahl ist so umfangreich, dass man fast ein bisschen den Überblick verliert...Die Modelle heissen alle Scorpion, werden aber mit zusätzlichen Buchstaben versehen für die verschiedenen Untergründe:
- "RC" für Racing (Renneinsatz)
- "H" für Hard (harter Untergrund)
- "M" für Mixed (wechselnder Untergrund)
- "S" für Soft (loser und weicher Untergrund)
- "R" für Rear (ein Profil speziell für das Hinterrad)
Bevor man sich für Pirelli MTB-Reifen entscheidet, sollte man also ungefähr festlegen, auf welchem Boden man hauptsächlich unterwegs ist.
In diesem Test nehme ich die Modelle Scorpion Enduro S und Scorpion Enduro R in 27.5"x2.40" und Scorpion Enduro S in 29"x2.60" unter die Lupe. Ich fahre sie tubeless auf einer Felge mit 30 mm Innenbreite an meinem Rocky Mountain Thunderbolt und Mondraker Chaser 29 E-MTB.
Zugegeben, als ich die Reifen das erste Mal in der Hand hielt, war ich skeptisch. Vor allem der Scorpion S erinnert mit dem sehr groben und pfeilförmigen Profil an die Klassiker der 90er Jahre (Panaracer Smoke Dart, Tioga Psycho, IRC Mythos, usw.). Was aber vor 30 Jahren gut war, das hat auch heute noch Berechtigung, dazu später mehr.
Die Montage ging problemlos, trotz der stabilen Seitenwände konnte ich die Reifen mit blossen Händen auf die Felgen ziehen. Beim Aufpumpen brauchte es allerdings einige Versuche, bis die Reifen richtig im Felgenbett sassen. Dann blieben sie aber dicht, selbst ohne Milch ging die Luft über Nacht nicht raus. Ich befüllte sie nachträglich mit 80 ml Flüssigkeit.
In der Grösse 27.5"x2.40" bringen der Scorpion Enduro S 1150 g und der Enduro R 1090 g auf die Waage. Der Scorpion Enduro S in 29"x2.60" wiegt stolze 1250 g (alle Reifen nachgewogen). Das sind keine Leichtgewichte, aber wie erwähnt, gibt es diese Reifen auch noch in leichteren Versionen. Da ich keine Rennen mehr fahre, ist für mich das Gewicht sowieso zweitrangig. Viel wichtiger sind mir die Traktion und die Zuverlässigkeit.
Der Enduro S hat ein pfeilförmiges Profil mit hohen und weit auseinander stehenden Stollen. Damit soll bei losem, weichem und rutschigem Untergrund grösstmögliche Traktion erreicht werden.
Der Enduro R ist speziell für das Hinterrad gedacht und hat die typischen Querstollen in der Mitte, welche für Grip beim Hochfahren und Bremsen sorgen sollen. Die Mittelstollen sind ein wenig tiefer als die Seitenstollen, was zusätzlich den Rollwiderstand verringert.
Beide Reifen haben eine Breite von knapp 59 mm, das ist eher schmal für 2.40". Wem das zu wenig ist, der kann die Breite 2.60" wählen, welche mit 67 mm sicher genügend Auflagefläche bietet.
Die Profile von Scorpion Enduro S und Scorpion Enduro R.
Auf dem Trail
Ich konnte die Reifen in den letzten Monaten ausgiebig bei allen möglichen Bedingungen testen. Das launische Wetter im Mai und Juni sorgte für viel Regen und die Trails waren oft nass und schlammig. Besonders häufig habe ich den Scorpion S 29x2.60" am E-MTB über die Trails gejagt.Die 2.40" habe ich mit 1,6 bar und die 2.60" mit 1,2 bar Luftdruck gefahren. Der Scorpion S überraschte mit sehr viel Grip am Vorderrad, vor allem auch bei Nässe. Der Reifen beisst sich richtiggehend in den Boden und sorgt für eine messerscharfe Kurvenführung. Damit nicht das schwere E-Bike dafür verantwortlich gemacht werden kann, hatte ich den gleichen Trail umgehend auch unmotorisiert gefahren und auch mit dem 2.40" gab es das gleiche Resultat. Der Reifen bietet selbst im Grenzbereich eine sehr hohe Traktion, was für viel Sicherheit und Vertrauen sorgt.
Der Scorpion R am Hinterrad bietet guten Grip bei trockenen Bedingungen. Bei Nässe verliert er aber an Traktion, die Mittelstollen sind zu wenig hoch, um sich richtig in den weichen Boden zu beissen. Auch im Downhill konnte er mit dem Vorderrad nicht ganz mithalten, wegen dem flachen Profil kommt er schneller ins Rutschen, als der grobe Scorpion S. Die Haftgrenze ist aber durchaus definiert und man kann kontrolliert um die Kurven driften.
Hier fragt es sich wieder einmal, ob es überhaupt nötig ist, einen speziellen Hinterradreifen zu entwickeln. Auf dem E-MTB habe ich den Scorpion S vorne und hinten montiert und das funktioniert super. Der Vorderreifen bietet auch am Hinterrad genügend Traktion beim Bremsen und Hochfahren.
Der Rollwiderstand ist, trotz des hohen Gewichts, erstaunlich gut. Man gewinnt aber mit diesen schweren Reifen keinen Bergsprint. Da diese in die Kategorie Enduro gehören, ist auch klar, dass sie vor allem in der Abfahrt punkten müssen. Probleme gibt es bis jetzt keine, die Scorpions verrichten zuverlässig ihre Arbeit. Trotz tiefem Luftdruck sitzen sie fest in der Felge und dank den stabilen Seitenwänden gibt es kaum Durchschläge. Das Profil zeigt kleine Gebrauchsspuren, die Stollen sind aber alle noch intakt.
Der Scorpion S bietet viel Grip am Vorderrad. (Foto: spitznagel.ch)
Im Schlamm kommt der Scorpion R am Hinterrad ans Limit...
Kürzlich habe ich das Bike meiner Partnerin auch auf Pirelli umgerüstet. Da sie eher gemächlich unterwegs ist, habe ich ihr den Scorpion XC M 29"x2.40" montiert. Ich liess es mir nicht nehmen und habe mit ihrem Bike ein paar Tage in der Toscana verbracht. Italienische Reifen auf italienischem Boden, das kann ja nur gut kommen!
Die toscanischen Trails waren sehr trocken, staubig, steinig und rutschig. Aufgrund dieser Bedingungen habe ich einen eher tiefen Luftdruck gefahren, vorne 1,4 und hinten 1,5 bar. Beim XC merkt man das geringe Gewicht, mit 830 g pro Reifen geht es zügig vorwärts. Die Beschleunigung und das Rollverhalten sind gut und der Reifen hat eine angenehme Eigendämpfung. Der Grip ist auch bei diesem Modell wieder eine kleine Überraschung. Im Uphill und Downhill beisst sich der Gummi regelrecht in den harten Boden und sorgt für viel Traktion. Der Kurvenhalt ist hervorragend, man muss nur den Mut haben, um das Bike voll reinzulegen. Der Grenzbereich ist gut spürbar, selbst ein Drift über beide Reifen kann man gezielt kontrollieren.
Der Scorpion M auf toscanischem Boden.
Der Reifen bietet viel Traktion auf rutschigem Untergrund.
Fazit:
Ein neuer Geheimtipp? Pirelli hat die Hausaufgaben gemacht. Sie haben nicht einfach MTB-Reifen auf den Markt gebracht, um das Sortiment abzurunden, sondern sich ernsthaft mit dem Thema auseinander gesetzt. Vor dem Kauf muss man sich einige Gedanken über den Einsatzzweck machen, damit man sicher den passenden Reifen wählt. Dann erhält man aber Gummis, die bei jeder Biketour für viel Traktion und Sicherheit sorgen. Vor allem der Scorpion S überzeugt mit hervorragendem Grip an Vorder- und Hinterrad und hat eine Kaufempfehlung verdient.Preis:
ab CHF 67.90Informationen:
Pirelli VeloCHRIS sports