Kurze oder lange Kurbeln? Wenige Millimeter sind entscheidend

Die Wahl der optimalen Länge der Kurbeln ist eines der letzten grossen Rätsel im Radsport. Man findet zwar unzählige Studien und Tests im Internet, aber nirgends gibt es eine konkrete Antwort darauf, wer welche Kurbellänge fahren sollte.

Das Online-Portal Pinkbike hat sich kürzlich ebenfalls dem Thema gewidmet, auch dort wurden viele Fakten zusammengetragen, ohne aber eine verbindliche Empfehlung abgeben zu können. Einzig ein Trend zu kürzeren Kurbel ist auszumachen, untenstehend mehr dazu.

Während man die Rahmenhöhe relativ einfach anhand der Körpergrösse ermitteln kann, wird es bei der Kurbellänge komplizierter. Da ist heutzutage nicht mehr nur die Beinlänge entscheidend. Bikemodell, Disziplin, Fitnessgrad und Einsatzzweck müssen ebenfalls berücksichtigt werden.

Auch ich selbst habe mir viele Gedanken darüber gemacht, dies vor allem, weil meine vier Fahrräder bis vor Kurzem noch vier unterschiedliche Kurbellängen hatten: Mondraker E-MTB 165 mm, Rocky Mountain MTB 170 mm, Rocky Mountain Gravel 172,5 mm, Moots Road 175 mm.

Von blossem Auge sind die Millimeterunterschiede kaum erkennbar und doch haben sie einen wesentlichen Einfluss auf das Fahrverhalten des Bikes und auf das Wohlbefinden des Sportlers.

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Meine Bikes mit 165 mm, 170 mm, 172,5 mm und 175 mm Kurbeln.


Mich haben die verschiedenen Kurbellängen an meinen Bikes schon länger gestört, nur schon, weil die Zahl nicht einheitlich war. Ein Umstand hat mich dann im letzten Jahr zum Handeln gezwungen. Ausgerechnet mit meinem Moots Rennrad, mit welchem ich seit 12 Jahren regelmässig Tausende von Kilometern abspule, hatte ich auf einmal körperliche Beschwerden. Immer wenn ich im Sattel sitzend hart in die Pedale trat, spürte ich einen stechenden Schmerz im linken Hüftknochen.

Da ich nie etwas am Setup und an der Ausrüstung geändert hatte, war mein erster Gedanke, dass es an der Kurbellänge liegen könnte. Ich wechsle oft zweimal am Tag das Rad, am Morgen gebe ich einen Fahrtechnikkurs mit dem E-MTB und am Abend fahre ich noch eine Runde mit dem Rennrad. Innerhalb weniger Stunden müssen sich meine Beine an 10 mm Unterschied bei der Kurbellänge gewöhnen. Mein alternder und stark beanspruchter Körper kommt damit anscheinend nicht mehr klar...

Darum habe ich im letzten Herbst alle meine Räder auf 170 mm Kurbeln umgerüstet. Ausser beim E-MTB, da blieben die 165 mm. Da der Motor ein Grossteil des Vortriebs übernimmt, geht das Treten auch mit kurzen Kurbeln wunderbar. Eine neue, hochwertige Kurbelgarnitur ist teuer, ich hatte mich deshalb auf dem Gebrauchtmarkt umgesehen und nach einiger Zeit fand ich eine Shimano GRX und Dura-Ace in 170 mm für mein Gravelbike und Rennrad.

kurbellaenge2jpg170 mm ist jetzt an drei von meinen vier Bikes zu finden.


Die Entwicklung der Kurbellängen in den letzten Jahren

Als ich vor über 30 Jahren mit Mountainbiken begann, da fuhren wir Hardtails mit 175 mm Kurbeln. Das war lange Zeit der Standard.

Mit den ersten Fullsuspensionbikes änderte sich dies dann, bei teils schmerzhaften Pedalaufsetzern merkte man schnell, dass die Kurbeln jetzt zu lang waren. Ich rüstete schon Ende der 90er Jahre mein Downhillbike auf 170 mm und später sogar auf 165 mm um.

Heute sind kürzere Kurbeln bei Mountainbikes weit verbreitet. Dies vor allem wegen den ständig radikaleren Geometrien und immer tiefer liegenden Tretlagern. Um Pedalaufsetzer zu vermeiden, verbauen die Hersteller teilweise schon jetzt 165 mm Kurbeln und gehen bis auf 155 mm runter.

Im Rennradsport gibt es mit 170, 172,5 und 175 mm drei verschiedene Kurbellängen, die hauptsätzlich spezifiziert werden. Kleiner Rahmen 170 mm, grosser Rahmen 175 mm und überall, wo man sich nicht sicher ist, wird 172,5 mm montiert. Nicht sehr professionell, aber nach diesem Prinzip werden die meisten Rennräder verkauft.

Der Markt bietet aber noch ein viel umfangreicheres Sortiment an Längen. Nischenhersteller produzieren von ultrakurzen 125 mm bis zu superlangen 225 mm Kurbeln.


Der Trend geht hin zu kurzen Kurbeln

Was sich aus all diesen Studien und auch bei aktuellen Fahrrädern ablesen lässt ist, dass der Trend hin zu kürzeren Kurbeln geht. Lediglich für Bahnsprinter, BMXer und grossgewachsene Personen mit sehr langen Beinen werden noch Kurbeln empfohlen, die 180 mm und länger sind.

Bei den Mountainbikes ist der Wechsel auf kürzere Kurbeln konstruktionsbedingt. Wie oben bereits erwähnt, sind die Tretlager mittlerweile so tief, dass man schon mit 170 mm häufig an hohen Steinen hängen bleibt. Gut möglich, dass in Zukunft 165 mm oder noch kürzer zum neuen Standard werden.

Auch im Rennrad- und Triathlonsport scheint langsam ein Umdenken stattzufinden. Bei Bike-Checks von Profirädern sieht man immer häufiger Kurbellängen von 170 mm oder sogar 165 mm.

kurbellaenge4jpgViel Platz bleibt nicht zum Boden. Wären hier jetzt noch Steine, käme es bereits zu Pedalaufsetzern. (Foto: spitznagel.ch)


Die Berechnung der Kurbellänge

Man findet im Internet verschiedene Formeln, um die passende Kurbellänge zu berechnen. Die Resultate sind aber mit Vorsicht zu geniessen. Ich habe mal zwei verschiedene Methoden ausprobiert, welche allerdings völlig unterschiedliche Werte lieferten. Voraussetzung ist, dass du deine Beininnenlänge weisst. Ich bin übrigens 177 cm gross, 68 kg leicht und meine Beininnenlänge beträgt 85,5 cm.

  • Beininnenlänge 85,5 x 1,25 + 65 = 171,87 mm Kurbellänge (kommt in etwa hin)
  • Beininnenlänge 85,5 x 2,10 = 179,55 mm Kurbellänge (wohl eher nicht...)
Beim Mountainbike empfiehlt sich, die Zahl abzurunden und auf die kürzere Kurbel zu gehen. Im ersten Beispiel wären das 170 mm, genau die Länge, welche ich momentan fahre.


Kurze Kurbeln sind gelenkschonender

Wo sich die Studien und Wissenschaft einig sind ist, dass kürzere Kurbeln gelenkschonender sind. Wer Knieprobleme hat, oder wie ich ein Zwicken in der Hüfte, der sollte eine kürzere Kurbel wählen.

Je länger der Kurbelarm, desto stärker wird das Knie auf dem höchsten Punkt der Tretbewegung nach oben gedrückt, was zu einer zusätzlichen Belastung der Gelenke führen kann.

kurbellaenge5jpgDank kürzeren Kurbeln ist der Druck auf das Knie geringer, was gelenkschonender ist.


Wie fahren sich meine kürzeren Kurbeln?

Seit einigen Monaten bin ich nun mit meinen 170 mm Kurbeln unterwegs und ich bereue den Wechsel bisher nicht. Auf dem Rennrad habe ich die 5 mm Unterschied durchaus gespürt. Die gute Nachricht vorweg, meine Hüfte hat bislang nicht mehr gezwickt. Ich hoffe mal, dass das kein Placebo-Effekt ist...

Die Kraftübertragung ist weiterhin ausgezeichnet. Ich bringe auch mit den kürzeren Kurbeln genügend Kraft auf das Pedal, um sitzend oder auch stehend schnell den Berg hochzufahren. Ob ich tatsächlich schneller bin, ist allerdings schwierig zu beurteilen. Dafür hätte ich einen Wattmesser montieren und die nackten Zahlen vergleichen müssen. Da ich das nicht habe, verlasse ich mich hier auf mein Bauchgefühl und diesem kann ich vertrauen. Was ich zudem merke ist, dass mein Tritt runder und geschmeidiger wurde.

Beim Gravelbike sind die 2,5 mm Reduktion nicht wirklich spürbar. Das Velo fährt sich wie bis anhin, aber als kleinen Bonus habe ich zusätzlich ein bisschen mehr Bodenfreiheit im Gelände.

kurbellaenge3jpgDie neuen 170 mm Kurbeln auf dem Rennrad fühlen sich gut an, auch im Wiegetritt.


Fazit

Wer ambitioniert Radsport betreibt, der sollte sich mit dem Thema Kurbellänge durchaus auseinandersetzen. Aber wie immer gilt: Never change a winning system! Wenn du keine Beschwerden beim Treten oder ständig Pedalaufsetzer hast, dann lässt du am besten alles so, wie es ist.

Andernfalls ist ein Wechsel auf eine kürzere (oder längere) Kurbel sicher ein Versuch wert. Und nicht vergessen, wenn du die Kurbellänge änderst, dann musst du die Sattelhöhe um die entsprechenden Millimeter nachjustieren.

Ich werde auf jeden Fall meinen kürzeren Kurbeln treu bleiben!

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Vollgas auf dem Gravelbike mit 170 mm Kurbeln. (Foto: spitznagel.ch)