Rennbericht Gravel Race Bern 2021

Am 16.10.2021 fand das Gravel Race & Ride in Bern statt. Ich habe mich ja schon länger vom aktiven Rennsport zurückgezogen, aber hin und wieder kann ich es doch nicht lassen, eine Startnummer an den Lenker zu hängen. Ein Gravelrennen fehlte mir noch in meinem Palmarès, also los!

Es gab zwei Streckenlängen, eine 50 km Runde mit knapp 1000 hm für die ambitionierten Teilnehmer*innen und eine 25 km Schlaufe für die, die es locker nehmen wollten. Vorweg, die Strecke war mit viel Liebe ausgesucht worden, sie bestand fast vollständig aus Schotterwegen, einigen Singletrails und nur ganz wenig Strasse. Die Anstiege waren kurz und knackig und die Abfahrten forderten einiges an Fahrkönnen.

Ich ging ohne grosse Erwartungen an den Start, ich wollte Spass haben und die 50 km unter 2 Stunden schaffen. Dennoch habe ich mich gewissenhaft vorbereitet, meine Zeit als professioneller Rennfahrer hinterlässt bis heute seine Spuren. Wenn ich an einem Wettkampf teilnehme, dann muss ich das Optimum aus mir und meinem Sportgerät herausholen können. Normalerweise sitze ich fast täglich auf meinem Arbeitsgerät Mountainbike und darum habe ich die letzten Wochen viele Ausfahrten mit meinem Rocky Mountain Solo (Fahrbericht in diesem Blogbeitrag) gemacht, um meinen Körper an die Belastung und Position zu gewöhnen. Ich hatte noch kleine Anpassungen an Sattelhöhe und Cockpit vorgenommen und mit verschiedenen Reifendrücken herumexperimentiert. Beim Reifendruck fuhr ich schlussendlich 30 PSI vorne und 35 PSI hinten mit Tubeless. Das hat sich für mich als bester Mix für gute Traktion und Rollverhalten herausgestellt.

Nun stand ich also an der Startlinie mit über 300 Teilnehmer*innen um mich herum. Als der Startschuss fiel, ging es gewohnt chaotisch und hektisch zu und her. Wie immer bei solchen Volksrennen brennen bei gewissen Leuten die Nerven durch und sie meinen, das Rennen würde in den ersten 5 Minuten entschieden... Ich fuhr gemächlich los und hielt noch kurz einen Schwatz mit einem Kollegen, der ein paar Reihen vor mir losgefahren ist. Dann drückte ich allerdings auch aufs Gas, schliesslich sollte das Loch nach vorne nicht zu gross werden.

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Kurz nach dem Start ein Schwatz mit Kollege "Schladdi". Danach Vollgas!

Nach Km 5 hatten sich alle mehr oder weniger eingereiht und es bildeten sich erste Gruppen. Ich schlängelte mich weiter durch meine Mitstreiter, bis ich irgendwann alleine unterwegs war. Die Schnellsten waren vorne weg, jetzt musste ich schauen, dass ich irgendwo ein Hinterrad erwische. Ich fuhr nochmals ein Loch zu und fand den Anschluss an eine Gruppe, die etwa mein Tempo hatte. Nun bot sich ein bisschen Windschatten, um ein wenig Kraft zu sparen. Gross konnte man die Beine allerdings nicht hängen lassen, die Strecke war ein ständiges auf und ab und links und rechts. Die Kickerei aus jeder Kurve heraus brauchte ziemlich Körner und ich fuhr eigentlich die ganze Renndauer im roten Bereich.

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Die Strecke führte grösstenteils durch den Wald mit schönen Trailabschnitten.

Bei Km 20 sah ich ein oranges Bahrain-Merida Trikot vor mir. Gino Mäder! Der aktuell stärkste Schweizer Strassenprofi (diesjähriger Gewinner einer Giro d'Italia und Tour de Suisse Etappe) wurde im Vorfeld als Stargast angekündigt. Okay, er fuhr wahrscheinlich nur mit der halben Wattzahl, ich fühlte mich trotzdem beflügelt, dass ich ihn einholen und sogar überholen konnte. Und das genau auf der Höhe vom Fotografen, leider ist das Beweisfoto ein wenig abgeschnitten. Coole Sache!

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Ich setze zum Überholen an. Das Hinterrad vor mir gehört Strassenprofi Gino Mäder!

Nach Rennhälfte war ich weiterhin in einer 7-köpfigen Gruppe unterwegs, welche ganz gut harmonierte. Das änderte sich dann erst 5 Kilometer vor Schluss. Es gab einen letzten längeren Anstieg, der die Beinmuskulatur und die Atmung nochmals ans Limit brachte. Unsere Gruppe brach auseinander, die zwei stärksten Konkurrenten fuhren weg und der Rest von uns fiel zurück.

Ich biss auf die Zähne und versuchte den Abstand nach vorne klein zu halten. Ein weiterer Fahrer hängte sich mir an und zu Zweit fuhren wir in Richtung Ziel. Wir wechselten uns bei der Führung ab, um möglichst schnell vorwärts zu kommen. Auf den letzten 3 Kilometern gab ich ihm Zeichen, um nach vorne zu gehen, er signalisierte mir aber, dass er keine Kraft mehr hätte. Also führte ich halt weiter und er klemmte sich in meinem Windschatten. Was ich auf jeden Fall vermeiden wollte war, dass er mich noch auf der Ziellinie übersprintete. Ich attackierte auf dem letzten Kilometer, konnte mich erfolgreich absetzen und fuhr alleine über die Ziellinie. 1 Stunde und 55 Minuten stand auf dem Computer, Mission erfüllt!

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Der letzte Kilometer. Mit den letzten Kraftreserven in Richtung Ziel.

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Geschafft! In Bern ist die Ziellinie ein Zebrastreifen...

Die grosse Überraschung folgte wenig später, als die Rangliste aufgeschaltet wurde. Ich sah mir zuerst die Overallrangliste an und da stand mein Name bereits an der 25. Stelle. Waaaaaassss?! Noch besser wurde es, als ich die Kategorienrangliste anklickte, ich holte mir tatsächlich den 3. Rang!!

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Schwarz auf weiss. 3. Rang bei meinem ersten Gravelrennen!

Warum war ich so schnell? Das verdanke ich hauptsächlich meiner sehr guten Fahrtechnik. Es gibt eine alte Weisheit: Man gewinnt ein Rennen nicht beim Runterfahren, aber man kann es verlieren. Ich war schon früher nie der Stärkste beim Hochfahren, dafür fehlen mir die physischen Voraussetzungen und jetzt bin ich mit meinen 44 Jahren sowieso am Leistungszenit angekommen.

Wenn es aber runter geht und technisch wird, dann kann ich immer noch von meinem Können als alter Downhiller profitieren (darum bin ich auch MTB-Fahrtechnik-Trainer seit 10 Jahren ;-)). So kann ich jeweils Lücken schliessen oder mir einen Vorsprung herausfahren und das ohne viel Kraftaufwand. Ich sah einige Konkurrenten, die sich an einer Bodenwelle oder Kante einen Plattfuss holten, während ich locker mit einem Bunny Hop drübersprang. Andere fuhren in der Kurve einfach geradeaus, weil sie den Lenker falsch hielten und die Bremsen nicht gefühlvoll bedienen konnten (man hält am Unterlenker, nur so hat man die volle Kontrolle).

Einerseits stimmt mich das nachdenklich, dass nur wenig Rennfahrer über eine gute Fahrtechnik verfügen. Beim Wettkampf freue ich mich aber darüber, wenn sich viele selber aus dem Rennen nehmen und ich so gratis Positionen gewinne.

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Mein Rocky Mountain Solo hat mich erfolgreich und zuverlässig begleitet.

Zum Schluss ein grosses Dankeschön an die Veranstalter. Das war wirklich ein tolles und gut organisiertes Rennen in einer lockeren Atmosphäre. Die abwechslungsreiche Strecke war genauso, wie ich auch sonst unterwegs bin und was ich mir unter Gravelfahren vorstelle. Ich komme wieder!

Rangliste Kategorie M40
Rangliste Overall
Website Gravel Ride & Race